7 Mythen der Reizverarbeitung

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7 Mythen der Reizverarbeitung

 7 Mythen der Reizverarbeitung oder: Warum verhält sich dieses Kind so seltsam?

Vielleicht liegst du auch einem dieser 7 Mythen der Reizverarbeitung auf und hast dich schon mal gefragt: "Warum verhält sich dieses oder jenes Kind so?!"

 So 'nicht normal'? So komisch? So sonderbar? 

  • Diese Kinder haben Probleme stillzusitzen.
  • Kauen an allem rum oder kauen alles ab.
  • Oder hüpfen und klettern auf allem herum.
  • Oder beschweren sich, dass immer alles ZU LAUT sei.
  • Sie hassen es, Socken oder Strumpfhosen anzuziehen.
  • Oder sie sind Meister im "Das esse ich nicht!"
  • Es gibt viele Wutanfälle und Gefühlsausbrüche, die wie scheinbar aus dem Nichts kommen.

Hast du das Gefühl, dir dieses Verhalten nicht ganz erklären zu können? Andere Kinder können sich doch auch 'normal' benehmen!  Da bist du nicht die Einzige!

Gerade, wenn es um erhöhte Reizwahrnehmung und dessen komplexere Reizverarbeitung geht, liegen viele Erwachsene noch einigen Mythen auf. In diesem Artikel möchten wir zumindest 7 Mythen der Reizverarbeitung näher beleuchten.

7 Mythen der Reizverarbeitung

Ich kenne Kinder, die nur EINE Art von Hose tragen. Die an Stiften riechen (sie dann noch in den Mund nehmen und abschlecken), bevor sie damit arbeiten. Die plappern und reden wie der bekannte Duracell-Hase. Die 'Aua!' schreien, wenn sie nur leicht berührt werden.

Egal welches komische, sonderbare oder 'nicht-normale' Verhalten du in deinem beruflichen Alltag, im Kindergarten, in der Schule, in anderen pädagogischen Umgebungen (oder zu Hause) an Kindern siehst: 

NORMAL wird ÜBERSCHÄTZT!

Ich vermute, wenn du das jetzt liest, dann hast du ein paar Kinder im Kopf, die 'so ein komisches Verhalten' zeigen.

Und das ist vollkommen okay.

Diese Kinder sind einzigartig, und diese kleinen Marotten machen sie zu dem was sie sind - einzigartig.

Seltsam oder nicht normal? Egal, einfach anders!

Der ersten Schritte, diesen Kindern zu helfen, ist, sie so zu nehmen, wie sie sind. Mit all den Marotten und kleinen Eigenheiten. Nimm dir vor, sie wirklich verstehen zu wollen und ändere deinen Blickwinkel auf ihr Verhalten.

Entlarve zumindest die folgenden 7 Mythen der Reizverarbeitung.

Damit das machbar ist, dürfen wir grundsätzlich als Erstes unsere Gedanken über das sichtbare Verhalten ändern:

Und das geht so:

  • Hör auf, das sichtbare Verhalten als 'unnormal' oder nicht normal (oder Schlimmeres) zu bewerten.
  • Hör auf, dich auf das zu fokussieren, was dieses Kind NICHT schafft.
  • Verbanne Sätze aus deinem Kopf wie: "Aber es könnte doch, sollte doch können, müsste doch können...."
  • Hör auf, das Verhalten dieses Kindes mit dem der anderen Kinder zu vergleichen, 'die sich normal benehmen'.

Und dann möchte ich dich daran erinnern, dass egal, wie sonderbar, selten, auffällig oder eigenartig das Verhalten auch aussieht...

Es gibt immer einen GRUND für das VERHALTEN!

Mein Sohn kaute sich lange Zeit die eigenen Zehennägel ab, weil er das Schneiden mit der Nagelschere nicht aushalten kann. Eine (erwachsene) Freundin von mir, kann kein 'unperfektes' Obst essen, sobald ein brauner Fleck auf dem Apfel ist, ekelt es sie davor.

Es gibt jede Menge 'komisches' Benehmen (nicht nur bei Kindern)!

Als Kind wurde mir der Umgebungslärm schnell mal zu viel. Ich begann dann, mir die Ohren zuzuhalten oder zu summen, um die Geräusche von außen weniger zu hören. 'Benimm dich normal!' hörte ich öfters oder 'Das Verhalten ist nicht normal'!

Aber das stimmte nicht ganz. Mythen der Reizverarbeitung (oder überhaupt das Thema an sich) waren damals nicht wirklich präsent, denn niemand hat sich mit Reizverarbeitung beschäftigt.

Das Verhalten, das du von außen siehst, das Zupfen an Dingen, das (Zehen-)Nägel kauen, das Kauen an allen Gegenständen, das ständige Berühren und Anfassen, das Herumklettern auf Möbeln, das Wippen mit Stühlen, das Verweigern von bestimmten Stoffen und Materialien... das ist nur ein Teil des Ganzen.

Hinter dem Verhalten stecken logische Gründe für das, was wir im Außen sehen können.

Und denke dran: Verhalten ist nur die Botschaft!

Es gibt viele Gründe für Verhalten und heute soll es um einen wichtigen davon gehen: die Reizverarbeitung.

Wir sehen uns im Folgenden an, welche Mythen sich um Reizverarbeitung ranken.

Abneigung gegen Socken oder Nähte oder Etiketten

Was ist Reizverarbeitung eigentlich und welche Mythen der Reizverarbeitung gibt es?

Wenn du noch wenig über Hochsensibilität, Sensorische Integration oder verwandte Themen gehört hast, dann vermutlich auch wenig über Reizverarbeitung.

Und das ist okay. Ehrlich gesagt, habe ich mich selbst erst durch meine Ausbildungen zum Psychologischen Berater für Hochsensibilität & Hochbegabung und zur BiG Familienbegleiterin so wirklich damit auseinandergesetzt.

Von Sensorischer Integrationsstörung hatte ich gehört, weil die Elementarpädagogin meines Sohnes diese Ausbildung hatte und sie bei ihm diese 'Diagnose' vermutete. Damals war ich noch zu kurz im Thema Hochsensibilität unterwegs und hatte den breiten Blick auf Reizverarbeitung, den ich heute habe, noch nicht!

Im Rückblick würde ich ihr sagen: er ist einfach nur hochsensibel und das konnte ich als Baby schon sehen.

Im Bereich der Hochsensibilität spricht man oft von den 5 Sinnen. In der Sensorischen Integration dann doch schon von 8 Sinnen. Und dennoch ist das Bild über Reizverarbeitung noch zu eng gefasst, um das Verhalten gut erklären zu können.

Wenn du dich schon ein wenig mit Reizverarbeitung befasst hast, dann vermutlich aus dem Grund, weil du immer wieder mit Kindern zu tun hast, deren Verhalten von der Gesellschaft als seltsam oder auffällig (im Sinne von therapiebedürftig) eingestuft wird. Vielleicht gibt es in deiner Klasse oder Kindergruppe Kinder mit Diagnosen.

Gelehrt wird darüber in fast keiner Grundausbildung, weder für Lehrkräfte, noch für PädagogInnen. Und es gibt ganz viele Mythen und Missverständnisse über Reizverarbeitung, die in der 'Kinderbetreuungs-Welt' kursieren.

In diesem Beitrag teile ich die geläufigsten 7 Mythen der Reizverarbeitung mit dir, und zwar speziell im Bereich der erhöhten Reizverarbeitung!

Mythen versus Realität Reizverarbeitung(1)

1. Du siehst ein Kind, das völlig 'überreagiert' - sich einfach 'schlecht benimmt'.

Im Verhalten zeigt sich vielleicht, dass es sich verweigert, nicht 'hört' und nicht macht, was man ihm aufträgt, sich wegduckt, sich 'schüchtern' benimmt. Diese Kinder werden schnell als 'schlecht erzogen' bewertet. Im Grunde kann es aber durchaus sein, dass diesen Kindern in bestimmten Situationen einfach Vieles zu laut ist, weil sie in diesem sensorischen Bereich Reize erhöht wahrnehmen. Sie reagieren womöglich sehr stark auf Geräusche oder der Trubel der Situation ist ihnen 'too much'.

2. Du siehst ein Kind, das auf jedem und allem herumklettert, ständig in Bewegung oder hibbelig ist.

Das Verhalten kann darauf hinweisen, dass dieses Kind mit einer großen Energie ausgestattet ist und ein starkes Bedürfnis nach Bewegung hat. Dieses Bedürfnis will gestillt werden! Vielfach wird dann von einer sogenannten Unterempfindlichkeit in der vestibulären Wahrnehmung gesprochen oder einer erhöhten psychomotorischen Sensitivität.

3. Du siehst ein Kind, das ausflippt, weil es Socken anziehen soll, einen Schal oder Schuhe.

"Stell dich doch wegen ein Paar Socken nicht so an!" und ähnliches wird sehr schnell ausgesprochen, dabei haben diese Kinder womöglich ausgeprägtere taktile Sinne oder eine erhöhte sensorische Sensitivität, was Etiketten, kratzige Stoffe oder die Enge der Schuhe betrifft.

4. Du siehst ein Kind, das alles in den Mund nimmt und abschleckt oder das Gegenteil, einen heiklen Esser, der fast nichts in den Mund nimmt.

Einige Kinder erleben die Welt 'durch den Mund'. Die Buntstifte werden zuerst beschnüffelt, dann abgeschleckt oder kurz in den Mund genommen, bevor dann das Zeichenkunstwerk in Angriff genommen wird. Andererseits gibt es Kinder, die eine erhöhte Reizverarbeitung in Bezug auf Gerüche und Konsistenz von Lebensmitteln haben, die ihnen dann beim Essen von Speisen 'dazwischenfunkt'. Bestimmte Bestandteile oder Gerüche können bei diesen Kindern regelrecht Ekel hervorrufen.

Einer meiner Söhne hat so einen feinen Geschmackssinn, dass er beim Großeltern-Besuch jedes Mal verweigert hat, das Leitungswasser dort zu trinken (egal ob es ihm pur oder vermischt mit Saft angeboten wurde). Jahre später fand man bei der Küchenrenovierung heraus, dass die verwendete Wasserleitung 'nicht mehr up-to-date' war, eigentlich schon 'verboten' war und Stoffe ans Wasser abgegeben hat, die alles andere als gesund sind.

Kind nimmt alles in den Mund

5. Du siehst ein Kind, das sich die Ohren zu hält oder sich ständig beschwert, dass alles viel zu laut ist.

Kinder mit einer erhöhten Wahrnehmung in diesem Bereich nehmen jedes noch so kleine Geräusch intensiv wahr. An dem Verhalten ist sichtbar, dass es die Reizüberflutung vermeiden möchte. Eine Überreizung mündet oftmals in Wutanfällen. Diese Kinder können gleichzeitig selbst durchaus 'laut' sein. Es ist dann zu beobachten, dass das Kind Geräusche macht oder laut wird, um sich selbst zu beruhigen, oder den Umgebungslärm auszublenden.

6. Du siehst ein Kind, das zu grob ist, körperlich ständig 'zu nah' oder leicht tolpatschig ist.

Diese Kinder wirken oft motorisch grob und ungeschickt. Sie rempeln unabsichtlich andere Kinder oder stoßen sich am Türrahmen. Sie haben häufige Verletzungen und wissen oft nicht, woher die vielen blauen Flecken an Knie oder Schienbein kommen. Oft realisieren diese Kinder nicht, dass sie anderen schon längst 'zu nah' sind, dass die Umarmung für andere nicht mehr angenehm ist. Sie sind sehr 'im Außen' und haben Probleme mit der eigenen Körperwahrnehmung. 

7. Du siehst ein 'scheues' Kind, das Augenkontakt vermeidet, sich die Augen zuhält oder ständig blinzelt.

Diese Kinder schauen eher auf den Boden und halten den Augenkontakt nicht wirklich. Sie scheinen sich mit Fokussierung schwer zu tun und haben ihre Augen nirgendwo und überall zur gleichen Zeit. Auch kann es sein, dass sie von Bildschirmen oder anderen attraktiven Dingen wie 'magisch' angezogen werden. Entweder sind diese Kinder visuell schnell überreizt oder sehr leicht ablenkbar. Funkelnde Lichter, geschäftiges Treiben im Umfeld, all das wird erhöht wahrgenommen und ist gleichzeitig faszinierend.

Als Jugendliche habe ich alle Schulbücher vollgekritzelt, hab ständig mit meinen lockigen Haaren gespielt (sie zwischen den Fingern gedreht oder drauf rumgekaut), am Kleiderärmel gesabbert und bis heute stoße ich mich am Wohnzimmertisch, laufe gegen Tischecken und wundere mich über manch blauen Fleck und woher er wohl kommen mag. Ich hatte oft große Erinnerungslücken, weil ich mich vielfach 'weggeträumt' habe, überwältigt war vom Lärm um mich herum. Meine schulischen Leistungen waren dadurch häufig 'unter meinem Potenzial'.

Als Kind und Jugendliche kam ich mir sehr oft 'weird' vor und 'nicht normal' oder nicht 'genügend'.

Aber wie gesagt: NORMAL ist ÜBERBEWERTET. Und wenn du zumindest die folgenden 7 Mythen der Reizverarbeitung über Bord werfen kannst, ist der erste Schritt schon getan.

Ständig in Bewegung, hibbel und hohe psychomotorische Sensitivität

Um das hier kurz zusammenzufassen:

Erstens, ich behaupte, dass 'normal' überbewertet ist. Es gelingt damit viel leichter, die eigenen negativen Wertungen über das Kind zu ändern und über dessen Verhalten.  Was als normal bewertet wird und was nicht, liegt oft im Auge des Betrachters.

Zweitens, ich habe dir gezeigt, wie das sichtbare Verhalten durch eine andere Brille (und dem Hintergrund der Reizverarbeitung) gesehen werden kann. Und ich habe kurz aufgezeigt, welche Gründe hinter dem Verhalten stecken können.

Es ist wichtig, den eigenen Blickwinkel auf Situationen und unterschiedlichste Verhaltensweisen zu ändern, tieferes Verständnis und Wissen zu erlangen, um sie in einem neuen Licht zu sehen.

7 Mythen die dein Verständnis für sensorische Herausforderungen blockieren

Die 7 Mythen der Reizverarbeitung, die dein Verständnis für sensorische Herausforderungen blockieren

Der nächste wichtige Schritt ist, dir wirklich viel Zeit zu nehmen, um dich mit dem Thema erhöhte Reizwahrnehmung und Reizverarbeitung zu beschäftigen.

Es gibt eine MENGE Informationen im Netz.

Egal ob du im Internet nach Hochsensibilität, Hochsensitivität, Sensorische Integration, Sensorische Integrationsstörung, Aufmerksamkeits-Defizitsyndrom (mit oder ohne Hyperaktivität) sprich AD(H)S, Autismus-Spektrum-Störung (ASS), Sensorische Entwicklungsstörungen uvm. googelst...du wirst mit Infos überflutet.

Vieles ist aus dem Defizitblick geschrieben. Vieles ist großartig. Einiges ist super hilfreich, einiges ist wirklich sehr verwirrend.

Ich möchte mit einigen Mythen der Reizverarbeitung aufräumen, die sich seit vielen Jahren hartnäckig halten, denn diese Missverständnisse blockieren einfach unser Verständis für sensorische Herausforderungen bei Kindern.

Wir sollen ja mit dem Potenzialblick auf Kinder blicken und in der Lage sein, hilfreiche, praktisch umsetzbare Lösungen und Hilfestellungen bieten können.

Also, dann sehen wir uns die 7 Mythen der Reizverarbeitung nun mal genauer an.

Mythos 1: Das Kind muss empfindlich in ALLEN Bereichen sein, um 'sensorische Herausforderungen' zu haben oder hochsensibel zu sein.

  • Sie müssen wegen jeder Kleinigkeit sofort zu weinen beginnen.
  • Sie müssen ein Thema mit Etiketten, Strumpfhosen und Co haben.
  • Sie müssen heikle und pingelige Esser sein.
  • Sie müssen laute Geräusche hassen.

Dem ist aber nicht so! Die erhöhte Reizverarbeitung muss sich nicht in allen Bereichen gleich stark zeigen.

Im Großen und Ganzen hat jeder Mensch unterschiedliche Bedürfnisse und hat daher auch im Bereich der Reizwahrnehmung und Reizverarbeitung unterschiedliche Herausforderungen.

Nur weil ein Kind problemlos alles isst und auch mit Strumpfhosen oder Etiketten in der Kleidung kein großes Problem hat, heißt es nicht automatisch, dass das Kind nicht hochsensibel ist oder keine sensorischen Herausforderungen hat.

Mäkelige Esser oder Abneigung gegen bestimmte Lebensmittel oder Texturen

Mythos 2: Es gibt nur 5 Sinne

Wer sich im Bereich der Hochsensibilität einliest, merkt, dass hier meist nur von 5 Sinnen gesprochen wird. Erweitert man seinen Blick in den Bereich der Sensorischen Integration dann spricht man hier bereits von mindestens 8 Sinnen: hören, sehen, riechen, tasten, schmecken, sowie propriozeptiv, vestibulär und interozeptiv.

Wer sich darüber hinaus auch noch mit dem Thema Synästhesie beschäftigt (was wir im Bildungsangebot zur Fachpädagogin für Hochsensibilität tun), weiß, dass es unzählige mehr an Sinneserfahrungen gibt, von denen die wenigsten in der Gesellschaft bekannt sind.

Mythos 3: Das Kind braucht einfach nur mehr Tools und Techniken zur Entspannung und Reizverabeitung

Ja, Techniken zur Entspannung oder zum Spannungsabbau kann wohl jede/r von uns gut gebrauchen. Dennoch wird hochsensiblen Kindern oft unterstellt, dass die sich noch nicht genug entspannen können. Oder, dass sie die Reizregulation noch nicht richtig beherrschen.

Es wird dabei übersehen, dass die erhöhte Reizwahrnehmung von Außen 'unsichtbar' passiert und das Verhalten, das gezeigt wird, das Ergebnis eines 'zu viel an Reizen' ist. Oder manchmal eben eines 'zu wenig an Reizen'. Es geht bei diesem Myhtos nicht so sehr darum, dass das Kind MEHR Kompetenz zur Entspannung braucht, sondern meist darum, welcher Reizinput ist gut und wie viel davon ist möglicherweise dann doch wieder schlecht.

Mythos 4: Man kann nichts tun, um zu helfen

Sie werden aus dem Ganzen irgendwann rauswachsen. Sie werden mit der ganzen Reizüberflutung irgendwann klar kommen - oder sich dran gewöhnen. Das sagen viele.

Aber das stimmt nicht. Nach einer gewissen Zeit, wird es diesen Kindern zwar bewusster werden, WIE das Umfeld auf sie reagiert, das ist richtig. Sie hören abfällige Bemerkungen und kritische Anmerkungen über ihr Verhalten. Daraufhin werden sie beginnen, sich anzupassen, um solche Reaktionen möglichst zu vermeiden.

Das heißt aber gleichzeitig NICHT, dass sie nicht weiterhin ständig vor der sensorischen Herausforderung stehen. Sie werden auch weiterhin nicht lernen, gut für sich zu sorgen, weil sie nicht wissen, wie sie bestimmte Situationen anders gestalten könnten.

Sie passen sich nur möglichst gut an.

Es ist aber für das Selbstbild, das Selbstvertrauen und auch für die körperliche und mentale Gesundheit dieser Kinder immens wichtig, sich der individuellen Herausforderungen im Bereich der Reizwahrnehmung und Reizverarbeitung bewusst zu sein, damit sie Lösungsansätze entwickeln können.

Mythos 5: Kinder müssen einfach nur mehr 'matschen'

Wenn es um Probleme bei der Reizverarbeitung geht, wissen viele über den taktilen Sinn Bescheid und dass Kinder dann einfach mehr mit Rasierschaum, Sand, Matsch, Fingerfarben oder Slime spielen sollten.

Aber es geht meist um mehr als nur einen, nicht nur den taktilen Sinn!

Ich kenne viele Kinder, die können und wollen nicht im Sand spielen. Sie können es nicht aushalten, es wäre ein absoluter Overload. Viele kleine Kinder nervt es regelrecht, nach dem Händewaschen nasse Hemdsärmel zu haben, oder wenn ihnen bei Regenwetter das Gesicht nass wird. Da sind sie absolute Vermeider!

Mehr Matsch und Gatsch für Kinder

Mythos 6: Nur Kinder mit Diagnosen haben Probleme bei der Reizverarbeitung

Wenn es in der Kindergartengruppe oder der Klasse also KEIN Kind mit einer Diagnose wie AD(H)S, ASS oder anderen gibt, dann kann ich also davon ausgehen, dass ich mich NICHT mit dem Thema Reizwahrnehmung und -verarbeitung auseindandersetzen muss.

Und, nein, so einfach ist das nicht! Hochsensibilität ist im deutschen Sprachraum beispielsweise keine Diagnose oder Störung. Daher gibt's (glücklicherweise noch) keine Diagnose.

Wie weiter oben schon beschrieben, haben ALLE Menschen mit Reizaufnahme und Reizverarbeitung zu tun, einige davon haben eben eine grundsätzlich erhöhte Aufnahme und Verarbeitung.

Mythos 7: Das Kind ist nur schlecht erzogen

Der Klassiker unter den Mythen der Reizverarbeitung bzw. der Unkenntnis über das Thema Hochsensibilität. 

Das Kind stellt sich extra so an! Es benimmt sich bewusst so 'schlecht'!

Und wenn du uns schon länger folgst, dann weißt du unsere Antwort darauf: Blöd..nn! Was hat eine angeborene erhöhte Reizwahrnehmung und -verarbeitung mit Erziehung zu tun?

Ja, Kinder benötigen sicherlich Anleitungen, Tools und Techniken, wie sie mit den Bedürfnissen (nach mehr Verarbeitungszeit, mehr Erholungsphasen, einem hohen Bewegungsdrang...) gut umgehen können.

Ja, sie brauchen Bestärkung, dass sie vollkommen okay sind, so wie sie sind und in bestimmten Situationen andere Strategien benötigen, als andere Kinder.

Aber Erziehung, im Sinne von Strafen, Konsequenzen oder auch Belohnungen, um ein bestimmtes Verhalten 'abzuschaffen' ist nicht der richtige Weg. Ungestillte Bedürfnisse machen sich immer lautstark bemerkbar - wieso also nicht gleich den Weg der Bedürfnisorientierung gehen?

Und damit kommen wir schon zum letzten, vielleicht sogar WICHTIGSTEN aller Punkte.

Bestärke das Kind bewusst und lösungsorientiert

Passende Lösungen finden und nicht 'One-Size-Fits-All'

Sobald du Klarheit in diesem komplexen Bereich hast, fällt es dir leicht, die Mythen der Reizverarbeitung hinter dir zu lassen und Kinder ganz individuell bei ihren sensorischen Herausforderungen zu bestärken. Das sagen auch zahlreiche PädagogInnen, Lehrkäfte, Schulsozialarbeiterinnen und ErzieherInnen, die sich diesen breiten Blick bei uns bereits geholt haben.

Die Möglichkeiten sind schier unendlich und es gibt die kreativsten Ideen dazu. Manche sind sehr praktisch, andere sehr unkonventionell, oft wirklich recht simpel.

Es gibt keine Ausreden einem Kind zu helfen, meist liegt es einfach nur am Willen, sich für die Unterschiedlichkeit der Bedürfnisse einzusetzen. Aber sehen wir uns einige Ideen konkret an:

Mythen der Reizverarbeitung Kind lösungsorientiert bestärken

Wie gesagt, die Tools, Strategien, Maßnahmen, Ideen für den Unterricht oder den Kindergarten sind wirklich unendlich. Hier findest du eine hilfreiche Liste mit 30 einfachen Ideen zur Reizregulation.

Und das sind ein paar Quick-Tipps ...

  • Wattebäuschen im Ohr, um Umgebungslärm zu dämpfen
  • Kopfhörer im Klassenzimmer oder der Kindergartengruppe anbieten (für alle Kinder, die es möchten)
  • Balance- oder Wackelkissen (für alle Kinder, die es möchten)
  • mehr Bewegungspausen oder generell mehr 'Bewegtes Lernen'
  • Noppenball, Metallkreisel (Fidget Spinner) oder andere kleine Gegenstände zum Spannungsabbau
  • Gummiaufstecker für Bleistifte & Co
  • deklarierte Ruhe-Ecke im Klassenzimmer oder Kindergartenraum
  • ...

Die Liste ist unendlich und nicht jeder Vorschlag ist für jedes Kind hilfreich. Es gilt genau hinzusehen und das Bedürfnis des jeweiligen Kindes zu sehen und zu stillen. Nur dann wird es sich auch im (von außen beobachtbaren) Verhalten positiv zeigen.

Übrigens, wenn du dich als Mama oder Papa für das Thema interessierst, findest du noch mehr Infos hier.


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