High Need Baby oder hochsensibel?

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High Need Baby oder hochsensibel? Gibt es da einen Unterschied?

Viele Eltern kommen auf mich zu, denn sie haben den Begriff High Need Baby gelesen und sind verwirrt, sobald sie sich dem Thema "hochsensibel" widmen. 

Sie vermuten, dass es hier einen Zusammenhang gibt, sind sich da aber nicht sicher. Vielleicht bist auch du am Grübeln, was es mit beiden Begriffen auf sich hat? 

In diesem Artikel erfährst du, was mit High Need Babys gemeint ist und ob es einen Zusammenhang mit Hochsensibilität gibt.

Dein Kind klingt nach High Need Baby! Ganz schön anstrengend!

High Need Baby, der Name an sich, hat für mich einen leicht negativen Unterton. Vielleicht geht es dir da ähnlich? Es klingt anstrengend, mühsam und ermüdend und erweckt dadurch bei vielen Menschen den Eindruck, dass es auch anders ginge, aber dieses Baby sich einfach bewusst so „negativ“ verhält. 

Der Begriff „High Need Baby“ stammt von Dr. William Sears.  Er ist Professor für Kinderheilkunde in Kalifornien und Vater von acht Kindern. Gemeinsam mit seiner Frau Martha Sears, selbst Stillberaterin und Krankenpflegerin, hat er in den 80-ern die Erziehungsphilosophie „Attachment Parenting“ geprägt und somit den Grundstein für die bindungs- und bedürfnisorientierte Erziehung gelegt. 

Dass sich viele der von Sears beschriebenen Merkmale mit den Merkmalen von erhöhter Sensitivität bei hochsensiblen Babys (also erhöhter Reizaufnahme und der damit verbundenen komplexeren Reizverarbeitung) decken, wirst du gleich im Folgenden erkennen, wenn wir uns die 12 Merkmale eines High Need Babys ansehen.

Die 12 Kriterien, an denen du ein High Need Baby laut Dr. Sears erkennst

Es gibt viele Übersetzungen und Interpretationen der 12 Merkmale aus dem englischen Original..Ein großes Dankeschön daher an Eltern.de für diese Übersetzung ins Deutsche, die meiner Meinung nach eine der konstruktivsten und informativsten Übersetzungen ist und die ich hier im Folgenden zum Großteil übernommen habe. Dr. Sears beschreibt die 12 Merkmale hier noch etwas ausführlicher (in Englisch).

1. „Intense“: Die Betreuung deines Babys ist intensiv

Es soll Hebammen geben, die bereits nach der Geburt merken, dass diese Babys ihre Eltern ordentlich fordern werden. Die Art, wie sie weinen, die Lautstärke ihrer Stimmen und vor allem die Intensität, mit der sie bereits zu diesem frühen Zeitpunkt eine umfassende Versorgung für sich einfordern.

Nicht von irgendwem, sondern meistens ausschließlich von der Mutter. Sears beschreibt diese Babys als unruhig und „getrieben“ (im englischen „driven“). Wenn ihre Bedürfnisse nach Nähe nicht sofort gestillt werden, weinen sie lautstark. Abwarten und hoffen, dass sie sich wieder beruhigen, führt nur zu noch lauterem und längerem Schreien.

Diese Babys sind sehr aktiv und vor allem im Kleinkindalter neugierig. Wenn sie etwas interessiert, steuern sie direkt darauf zu, egal, was sich ihnen in den Weg stellt. Das kann unvorsichtig wirken. Aber der gleiche Antrieb, der dieses Kleinkind vielleicht in Schwierigkeiten bringt, führt sie auch zu kreativen Höchstleistungen, die andere Kinder eventuell nicht erreichen.

2. „Hyperactive“: Dein Baby wirkt fast hyperaktiv

Hier betont Sears, dass es nicht um eine Bewertung geht, sondern um eine Beschreibung. Diese Babys haben prinzipiell nichts mit ADHS zu tun, wie die Übersetzung aus dem Englischen vermuten könnte.

High Need Babys wirken sehr aktiv – geistig und körperlich. Geballte Fäustchen, angespannte Muskeln – sie scheinen immer kurz vorm Durchstarten zu sein, selten wirken sie entspannt. Hyperaktiv ist dabei - im Vergleich zu anderen Babys - relativ zu verstehen. Aus der Hochsensibilität kennen wir dazu den Begriff 'Erhöhte psychomotorische Sensitivität'.

3. „Draining“: Dein Baby ist anstrengend (zehrend)

Diese Babys fordern alles von ihren Eltern, vorwiegend der Mutter. Sie kosten viel Energie und nehmen und nehmen ohne Rücksicht auf deine Bedürfnisse. High Need Baby - Eltern müssen im Alltag funktionieren und hoffen, dass diese Phase bald vorbeigeht.

Du gibst all deine Energie, um dein Baby zufriedenzustellen. Ununterbrochenes Tragen, Schuckeln und Stillen, mit wenig Schlaf, sind die Folge. Sears empfiehlt diesen Eltern, nachsichtig mit sich selbst zu sein. Völlig klar, dass im Haushalt alles liegen bleibt, wenn man sich 24 Stunden lang nur mit Baby im Arm bewegen kann.

In dieser Zeit fährt das Familienleben auf niedrigstem Level und nur das Allerallernötigste im Haushalt wird gemacht. Aus seiner Erfahrung ist es oft so, dass wenn man gerade denkt, „jetzt kann ich wirklich nicht mehr“, kommt wieder ein besserer Tag. Durchhalten!

4. „Feeds Frequently“: Dein Baby will ständig gefüttert werden

Babys stillen nicht nur ihren Hunger an der Brust, sondern genießen auch die Nähe. Insbesondere High Need Babys scheinen sehr oft nach der Brust zu verlangen. Sie trinken nicht hastig, sondern lassen sich viel Zeit, um möglichst lange in der Geborgenheit zu bleiben.

5. „Demanding“: Dein Baby ist sehr fordernd

High Need Babys wollen nicht nur gern getragen und gestillt werden, sie fordern es ein – lauthals. Warten ist nicht ihre Stärke. Wenn sie etwas benötigen, dann sofort und es gibt auch keine Alternativen.

Mit einem Schnuller braucht man da meist nicht kommen, den wird dein Baby kaum akzeptieren. Sein Weinen hört sich so eindringlich an, dass du kaum anders kannst, als schnell hinzuspringen. Die Not für dein Baby ist so groß, dass es dir das mit diesem nicht aushaltbaren Weinen deutlich zeigen muss. Dem Nachzukommen kostet viel Kraft.

Vielleicht hilft dir diese Sichtweise dazu: Dein Baby kennt seine Bedürfnisse gut und kann gut für sich sorgen. Es zeigt deutlich, was es braucht und vertraut auf dein unterstützendes Verhalten. Kommt dein Baby ins Kleinkindalter, ist es natürlich wichtig für es zu lernen, seine Bedürfnisse mit den Bedürfnissen anderer zu vereinbaren.

6. „Awakens frequently“: Dein Baby wacht ständig auf

Auch wenn High Need Babys von allem viel mehr brauchen, eins brauchen sie nicht: viel Schlaf. Dummerweise brauchen den die Eltern aber umso mehr. High Need Babys schlafen oft nicht länger als 2 Stunden am Stück.

7. „Unsatisfied“: Dein Baby wirkt oft unzufrieden

Ein unzufriedenes Kind zu haben, macht auch die Eltern unzufrieden. Es ist nicht einfach, das nicht als persönliches Versagen zu werten. Bei High Need Babys wird es Tage geben, wo alles Tragen, Schuckeln, Stillen und Bespaßen einfach nichts nützt. Mach dich dafür nicht fertig, denn du tust bestimmt dein Bestes.

Es liegt in der Persönlichkeit deines Babys, dass es manchmal so unzufrieden ist. Natürlich wirst du trotzdem versuchen, etwas zu finden, damit es ihm besser geht. Und vielleicht entdeckst du eine Haltung, die deinem Baby gefällt und es beruhigt. Zumindest für diesen Tag.

8. „Unpredictable“: Dein Baby ist unberechenbar

Gestern hat deinem Baby das Hinausschauen aus dem Fenster gut gefallen. Es ist ganz ruhig geworden. Heute brüllt es die Fensterscheibe an.

Es ist nicht einfach, mit den starken Stimmungsschwankungen eines High Need Babys umzugehen. Ihre Gefühle sind extrem. Wenn sie sich an etwas erfreuen, sind sie der Sonnenschein in Person. Wenn sie schlechte Laune haben, ist einfach alles und jeder blöd. Es wird also nie langweilig. 🙂

9. „Super-Sensitive“: Dein Baby nimmt Reize erhöht wahr

Diese Babys mögen es vertraut und sicher. Schnelle Wechsel lösen viel mehr bei ihnen aus als bei anderen Babys. Durch ihre erhöhte Sensitivität (Reizaufnahme) nehmen sie alles um sich herum wahr. Kleinste Geräusche wecken sie sofort auf. 

Diese starke Sensitivität macht sie aber auch sehr empathisch. Das Gute daran ist, High Need Babys sind sehr einfach zu verstehen, da sie dir so klar zeigen, was sie nicht mögen und was sie mögen. Vor allem dieses Merkmal wird häufig falsch übersetzt. Mit „Sensitive“ ist die erhöhte Reizaufnahme gemeint und nicht, wie meist übersetzt, das Über-Emotionale, das Sensible oder Überempfindliche (zu emotional).

10. „Can’t put baby down“: Dein Baby lässt sich nicht ablegen

Viele High Need Babys wollen ständig getragen werden. Hautkontakt beruhigt sie und natürlich Mamas Brust. Allerdings gibt es auch das Gegenteil, denn manche High Need Babys brauchen mehr Raum und mögen das ständige Kuscheln nicht so gern. Hier finden sich die späteren autonomen, willensstarken Kinder wieder – die gern ihre Freiheit lieben.

11. „Not a self-soother“: Dein Baby kann sich nicht selbst beruhigen

Es fällt vielen Babys anfänglich schwer, sich selbst zu beruhigen und alleine in den Schlaf zu finden. Manchen Babys hilft eine Spieluhr oder der Schnuller. High Need Babys lassen sich hingegen nicht von Gegenständen beruhigen. Sie suchen die Interaktion mit Menschen, vor allem mit der Mutter.

12. „Separation sensitive“: Deinem Baby fallen Trennungen schwer

Neue Leute und Situationen sind nicht so ganz das Ding von High Need Babys. Aus ihrer Sicht ist die Mutter ein Teil von ihnen und keine eigenständige Person. Eine Trennung von Mama klappt daher zumeist erst ab einem bestimmten Alter (bei Sears Tochter war es 3 ½ Jahre) und nur mit Menschen, die dem Kind schon sehr vertraut sind, wie die Großeltern oder wirklich gute Freunde der Eltern. Eine Kita-Eingewöhnung kann also etwas länger bei ihnen dauern.

An dieser Stelle nochmals ein großes Dankeschön an Eltern.de für diese Übersetzung ins Deutsche, die ich hier zum Großteil übernommen habe. Dr. Sears ausführliche 12 Merkmale findest du hier (in Englisch).

Fallen Schreibabys auch in die Kategorie High Need Baby?

Wenn man sich die 12 Merkmale von High Need Babys ansieht, drängt sich durchaus eine Verbindung mit den Beschreibungen von Schreibabys auf. Diese werden folgendermaßen definiert:

„Als Schreibabys werden umgangssprachlich Säuglinge bezeichnet bzw. stigmatisiert, die mindestens über einen Zeitraum von drei Wochen an drei Tagen der Woche drei Stunden täglich oder mehr schreien (Dreierregel, rule of threes). Die Dreierregel besagt, dass das Neugeborene über drei Wochen lang an mindestens drei Tagen in der Woche mehr als drei Stunden schreit.

Stangl, W. (2019). Stichwort: 'Schreibaby'. Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik.  https://lexikon.stangl.eu/9534/schreibaby/

Rund 20 Prozent aller Säuglinge brüllen extrem oft und das kann Eltern an den Rand der Verzweiflung treiben. Auch wenn Dr. Sears in seinen 12 Merkmalen bei High Need Babys keine Zeitangaben macht, sind Schreibabys definitiv "High Need".

Was lässt Schreibabys schreien?

Rund 20 Prozent aller Säuglinge brüllen extrem oft und das kann Eltern an den Rand der Verzweiflung treiben. Auch wenn Dr. Sears in seinen 12 Merkmalen bei High Need Babys keine Zeitangaben macht, sind Schreibabys definitiv "High Need".

Schreibabys werden meist nicht von Bauchschmerzen geplagt. Zumindest nicht vorrangig.

Was ihnen zu schaffen macht, so vermuten Wissenschaftler, ist das Leben an sich: Die Neuankömmlinge müssen eine Menge lernen, sie müssen viele Reize verarbeiten und einen Rhythmus finden zwischen Wachen und Schlafen.

Fachleute bezeichnen diesen Prozess als Selbstregulation, bei dem diese Babys mehr Hilfe benötigen als andere.

Aus der Prä- und perinatalen Psychologie weiß man, dass diese Babys viel zu erzählen haben. Wenn alle körperlichen Bedürfnisse gestillt sind und ein Baby immer noch schreit, kann die Ursache in einem vorgeburtlichen Trauma oder einem Geburtstrauma liegen. In diesem Fall möchte es auf seine Art und Weise mitteilen, was es erlebt hat und braucht dafür ein einfühlsames und präsentes Gegenüber.

Eltern sind sehr stark gefordert, gut auf sich zu achten und jede Hilfe von außen anzunehmen, um sich intensiv um sich und um ihr Kind zu kümmern.

Hochsensible "high-reactive" Baby wissenschaftlich erforscht

Jerome Kagan, renommierter Entwicklungspsychologe, erforschte an Säuglingen ihre Reaktion auf unterschiedliche Bedingungen. Er stellte fest, dass eine kleinere Gruppe der Babys, nämlich 15-20 %, schneller und intensiver auf Reize reagierte.

Diese Säuglinge reagierten grundlegend anders, empfindsamer und schreckhafter, wenn sie neuen Reizen ausgesetzt wurden. Er nannte sie „high-reactive“, im wissenschaftlichen Kontext im deutschen Sprachgebrauch auch „gehemmt“ genannt. Allerdings muss hinzugefügt werden, dass das Konstrukt „Hochsensibilität“ mit seinem wissenschaftlichen Hintergrund zum Zeitpunkt der Studien nicht berücksichtigt wurde!

Sind High Need Babys gleichzeitig hochsensibel?

Interessant ist, dass Jerome Kagan die erforschte Reaktion auf ein angeborenes Temperament zurückführt. Gleich wie das Dr. Elaine Aron, die Begründerin des Konstrukts "Sensory-Processing-Sensitivity" (zu Deutsch Hochsensibilität) beschreibt.

Viele der 12 Merkmale von Dr. Sears finden sich in den 4 Merkmalen hochsensibler Menschen laut Elaine Aron wieder. Hochsensibilität ist im deutschen Sprachraum allerdings ein Begriff, der sehr unterschiedlich definiert, interpretiert und in vielen Fällen falsch ausgelegt wird.

Hier pauschal eine Aussage zu treffen, ist meines Erachtens nicht möglich. Aus meiner Arbeit mit vielen Familien sehe ich aber eine große Überschneidung.


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