Bilderdenken – Wenn Kinder (und Erwachsene) in Bildern denken
Was bedeutet Bilderdenken?
Manche Menschen denken nicht in Worten – sondern in Bildern. Dieses sogenannte Bilderdenken oder visuell-räumliche Denken ist blitzschnell, komplex und ganzheitlich.
Es findet hauptsächlich in der rechten Gehirnhälfte statt, dem Bereich für Intuition, Emotionen und Kreativität.
BilderdenkerInnen nehmen mehr Reize auf, verarbeiten Informationen intensiver und „verstehen“ oft auf einen Blick, was andere erst Schritt für Schritt erfassen müssen.
Sie denken vernetzt und sehen Zusammenhänge sofort – können diese aber oft schwer in Worte fassen.
Frühe Anzeichen für Bilderdenken bei Kindern
Schon im Kleinkindalter zeigen sich Hinweise auf diese besondere Denkweise. Typisch sind:
- Begeisterung für Puzzle, Lego, Bauen, Kugelbahnen
- Faszination für Zahlen, Labyrinthe, Schach, Landkarten oder Architektur
- Detailreiche Vorstellungskraft und Tagträume
- Elternteile arbeiten häufig selbst in kreativen, technischen oder analytischen Berufen
Persönlichkeitsmerkmale von BilderdenkerInnen
Basierend auf den Forschungen von Dr. Linda Silverman (USA) zeigen viele visuell-räumlich denkende Menschen folgende Eigenschaften, die wir vom Begriff Hochsensibilität schon kennen:
- Hohe Intelligenz, aber oft Schwierigkeiten bei einfachen Aufgaben
- Starke Sinnesempfindlichkeit, z. B. gegenüber Licht oder Geräuschen
- Emotionale Feinfühligkeit und hohe Kreativität
- Starke bildliche Vorstellungskraft und sehr gutes Ortsgedächtnis
- Kritikempfindlichkeit und hohes Bedürfnis nach innerer Sinnhaftigkeit
Warum Schule oft zur Herausforderung wird
Unser Schulsystem ist überwiegend auf auditiv-sequenzielles Lernen ausgerichtet – also auf lineares Denken, Zuhören und Wiedergeben. Das ist bei BilderdenkerInnen eben anders - sie:
- Müssen sich erst ein Bild vom „großen Ganzen“ machen, bevor sie Details verstehen
- Können schlecht auswendig lernen – sie brauchen Struktur und vor allem Sinn
- Lernen lieber über visuelle Reize (Videos, Bilder, Modelle) statt durch reines Zuhören
- Haben oft Mühe, ihre intuitiven Lösungen in Worte oder Rechenschritte zu übersetzen
- Wirken unkonzentriert oder langsam, obwohl sie extrem schnell denken – nur eben auf andere Weise
Sie brauchen: Mehr Zeit, mehr Tiefe, mehr visuelle Zugänge – und vor allem: mehr Verständnis.
Wie Unterricht BilderdenkerInnen unterstützen kann
Folgende Methoden in der Unterrichtsgestaltung unterstützen BilderdenkerInnen beim Lernen:
- Visuelle, multisensorische Materialien anbieten (Bilder, Modelle, Videos)
- Komplexe Aufgaben zuerst, nicht zuletzt – Routine langweilt schnell!
- Mehr Projektarbeit, weniger Frontalunterricht - darüber sprechen können ist besser als nur zuhören.
- Differenzierung ermöglichen – vor allem bei schneller Auffassungsgabe - Stichwort 'asynchrone Entwicklung'.
- Ruhiges Klassenklima, da zu viele Reize und Chaos schnell zur Überforderung führt
Und im Erwachsenenleben?
Auch im Alltag als Erwachsene erleben BilderdenkerInnen oft Herausforderungen:
- Ihre Gedanken „springen“ – das Gegenüber kommt kaum mit.
- Sie tun sich schwer, Entscheidungen logisch zu begründen – weil sie intuitiv fühlen, was passt.
- Sie zweifeln an sich, weil sie sich schwertun, ihre Denkweise verständlich zu erklären
- Ihre innere Vielfalt wird oft missverstanden – als chaotisch oder unklar abgestempelt.
Dabei sind sie oft genau das Gegenteil: tiefgründig, kreativ, empathisch – und voller Potenzial.
Bilderdenken ist kein Defizit – sondern ein Talent
BilderdenkerInnen denken anders – nicht besser oder schlechter. Wer ihre Art zu lernen, zu fühlen und zu verstehen erkennt, kann sie gezielt stärken. Ob in der Schule oder im Alltag: Bilderdenken verdient Raum, Respekt und passende Rahmenbedingungen.
