8 Tipps zur Reizregulation in Alltags-Situationen

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8 Tipps zur Reizregulation in Alltags-Situationen

Machtkämpfe ums Socken anziehen, Schal oder Mütze tragen, Baden, Haarewaschen oder grundsätzlich Kleidung tragen, kennzeichnen deinen Alltag? Nicht unbedingt nur zu Hause, sondern auch im pädagogischen Alltag? Versuche diese 8 Tipps zur Reizregulation und wende sie in Alltags-Situationen an, um jede denkbare Herausforderung sensorischer Art zu lösen.

Wird dein Kind 'hyperaktiv' und beginnt wie wild herumzulaufen, sobald Bekannte oder Fremde im Haus sind oder ihr Besuch habt? Genauso im Kindergarten oder der Schulklasse, sobald merklich Unruhe in die Gruppe kommt?

Wie sieht es mit den Abendsituationen aus:

  • nervt das Kind ständig andere oder Geschwisterkinder?
  • verweigert es sich, die Zähne zu putzen oder zu baden?
  • will das Kind keinen Pyjama tragen?

Woche für Woche verzweifeln Eltern, weil das Kind nur unter riesigem Protest duscht und sich weigert, die Haare zu waschen (oder zu bürsten). Und hoffen, dass sich das schon irgendwann 'auswächst'. Doch manches Verhalten scheint schon seit Geburt zu bestehen.

8 Tipps zur Reizregulation in Alltags-Situationen

Geht es um einen mäkeligen Esser? Zu Hause und auch im Kindergarten oder der Schulkantine wird vermischtes Essen (wie Aufläufe und Co) regemäßig verweigert und bestimmte Lebensmittel sind (und waren) ein absolutes No-Go?

Essenszeiten sind regelrechte Kampfgebiete.

Und dazu kommt der ständige Kampf ums Anziehen von Socken, Schuhen, Strumpfhosen - Kleidung generell.

Etwas kratzt immer. Oder piekst. Oder reibt. Oder ist zu eng. Oder zu weit. Die Etiketten müssen raus!

Kleidung zu kaufen, dass weich genug ist, aber nicht zu weich, Socken ohne Nähte oder Schuhe, die nicht zu sehr drücken - das ist oft eine große Herausforderung!

Socken und Kleidung anziehen

Vielleicht hörst du Klagen über Kinder, die bei vielen täglichen Routinen super mühsam und anstrengend sind.

Die ihre Pulloverärmel nass oder löchrig kauen, bei Hausaufgaben-Situationen komplett ausflippen oder sich die eigenen Zehennägel kauen (ja, du hast richtig gelesen!).

Es sind Kinder, die mit ihrem Verhalten Eltern wie PädagogInnen und Lehrkräfte oftmals zur Weißglut treiben, weil sie 'sich so anstellen'.

Wenn du dich jetzt angesprochen fühlst oder Kinder begleitest, die dieses Verhalten (eines oder alles) davon zeigen, dann möchte ich dir versichern: Das ist nicht ungewöhnlich! Du bist damit nicht allein!

In diesem Artikel gebe ich dir einige wichtige Tipps an die Hand, wie du mit manch auffälligem Verhalten umgehen kannst und wie Reizregulation in Alltags-Situationen gelingen kann. Wie du hochsensible Kinder noch besser verstehen und begleiten kannst, findest du hier.

Wenn der Alltag mühsam und anstrengend ist

Es geht hier nicht um die Situationen, die 'alle heilige Zeiten mal' vorkommen, sondern um die täglichen Konflikte, die viele Familien, aber auch pädagogische Fachkräfte als 'kann man nicht ändern' akzeptiert haben.

Wenn du unserer Arbeit schon länger folgst und schon etwas über Mythen in der Reizverarbeitung weißt, dann kennst du unsere Meinung: NORMAL ist überbewertet!

Du weißt vielleicht über Vorurteile und Missverständnisse bei bestimmten sonderbaren Verhaltensweisen Bescheid.

Jedes Verhalten ist eine Botschaft, die es zu entschlüsseln gilt. Unterschiedliche sensorische Bedürfnisse zeigen sich dann auch als unterschiedliches (sichtbares) Verhalten.

Und wie wir gut damit umgehen können, sehen wir uns mit diesen 8 Tipps an.

zu viele Reize beim Zähne putzen

8 Tipps zur Reizregulation in Alltags-Situationen

Die Wahrheit ist, dass wir ALLE unterschiedliche sensorische Vorlieben und Abneigungen haben. Alle von uns!

Aber bei einigen Kindern (und natürlich Erwachsenen) läuft die Reizwahrnehmung und damit verbundene Reizverarbeitung erhöhter, intensiver bzw. komplexer ab - und dadurch sieht man im Außen eben auch intensiveres Verhalten. Das zeigt sich schon ab dem Babyalter, nur merkt man es bewusst erst im Rückblick.

Mit der Zeit und erlangten Lebenserfahrung können Kinder immer besser damit umgehen. Aber solange sie eben noch in der Entwicklung sind, benötigen sie verständnisvolle Erwachsene, die sie unterstützen.

Es kann nämlich ganz schön überwältigend sein, wenn ich als Kind mehr Informationen aufnehme, als die meisten anderen Kinder und dadurch schneller müde, unkonzentriert, ausgelaugt oder überreizt werde.

Frust und andere unangenehme Gefühle machen sich schnell breit und dann kommt es vielfach zur sprichwörtlichen Explosion.

Je nach Charakter und Persönlichkeit zeigt sich das so:

  • Jammern
  • herumschreien, schimpfen oder weinen
  • von himmelhochjauchzend bis zu Tode betrübt in weniger als 1 Millisekunde
  • aggressives Verhalten wie hauen, beißen, treten ...

Oder ein bisschen von allem.

Das Gute am sichtbaren Verhalten ist: Das Kind möchte damit etwas mitteilen!

Sehen wir uns an, was uns das Kind damit alles mitteilen könnte, es aber noch nicht in 'Erwachsenen-Sprache' ausdrücken kann, weil es dazu die Fähigkeit noch nicht hat oder ZU überwältigt ist, vernünftige Worte dafür zu finden.

Tipp 1: Setze die sensorische Potenzialbrille auf

Wenn du bestimmtes Verhalten siehst, möchte ich, dass du bewusst innehältst und die sensorische Brille aufsetzt. 

Durch diese sensorische Brille siehst du auf die Situation und führst eine rasche Analyse durch. Frage dich:

  • Ist das Verhalten eine Reaktion auf Geräusche, Lärm oder visuelles Chaos im Umfeld?
  • Hat es mit bestimmten Gerüchen oder ausgeprägtem Geschmack zu tun?
  • Fühlt es sich nicht wohl mit Kleidung, Material, bestimmten Konsistenzen?
  • Bräuchte das Kind mehr Bewegung, ein bisschen Verarbeitungszeit (Ruhe und Pausen), oder steckt ein anderes körperliches Bedürfnis dahinter?

Es gibt immer einen Grund für bestimmtes Verhalten, auch wenn er oftmals nicht auf den ersten Blick sichtbar ist. Vielfach sind es mehrere Gründe, die zusammenspielen.

Wichtig ist, dass wir unsere Haltung verändern und gewillt sind, das sichtbare Verhalten nicht sofort negativ zu bewerten und uns auf die Suche nach den (meist nicht sichtbaren) Bedürfnissen machen.

Dieser Ansatz hilft uns dabei, selbst nicht zu schnell frustriert zu werden und die Wutpalme zu klettern. Wir bleiben weiterhin in der Lage, zu helfen und zu unterstützen.

Tipp 2: Bleibe gelassen

Nun, das ist leichter gesagt als getan! Dennoch: es ist die Grundlage für alle weiteren Schritte.

Achte gut darauf, was deine eigenen sensorischen Bedürfnisse in dem Moment brauchen - durchatmen, innerlich leise bis 10 zählen, dich selbst kurz durchschütteln - egal, was dir hilft, mache es, damit du ruhig bleiben kannst.

Wenn du ruhig und bereit bist, mit dem Kind zu interagieren, versuche möglichst wenig zu sprechen (oder zu belehren), sondern nimm dir Tipp 3 zu Herzen.

Tipp 3: Biete Alternativen und Optionen an

Wenn das Kind seine Reizregulation mit 'gesellschaftlich weniger akzeptierten' Methoden oder die Gruppe störenden Wegen durchführt, dann zeige ihm andere Möglichkeiten auf, welche besser geeignet sind.

Wenn das motorisch erhöhte Kind oft auf Möbeln herumklettert, die dafür nicht geeignet sind oder das Klettern in der Situation gerade nicht angebracht ist (im Kindergarten oder der Klasse), dann erkenne das an:

"Ich sehe, dass dein Körper grad sehr viel Bewegung braucht. Das Bücherregal (die Couch, das Lehrerpult) ist dafür nicht geeignet. Lass uns eine andere Möglichkeit finden, wo du gut klettern kannst." Oder:

"In wenigen Minuten machen wir eine Bewegungspause für alle - wenn dein Körper JETZT schon viel Bewegung braucht, schau mal, ob du am Platz/Stand ganz schnell laufen kannst."

Damit kann das grundlegende Bedürfnis gestillt werden. Das Kind fühlt sich gut verstanden und es lernt, die eigenen Körpersignale zu erkennen und durch unterschiedliche Wege zu stillen.

Du steckst den Rahmen fest und innerhalb des Rahmens hilfst du dem Kind zu entscheiden.

Reizregulation im Alltag durch klettern und Bewegung

Tipp 4: Etabliere Routinen

Ein Ninja-Tipp bei Kindern, die ein großes Bedürfnis nach Struktur und Vorhersehbarkeit haben und alleine schon durch fehlende Übersicht sehr stark in die Überreizung kommen.

Führe Routinen ein, die zu einem 'erwartbaren' Teil des Alltags werden - das gilt für den privaten Familienbereich genauso wie für den Kindergarten- oder Schul-Alltag.

Struktur und Routinen schaffen Übersicht und mindern den Stress, den manche Kinder verspüren, wenn sie nicht wissen, was kommt.

Und ich weiß, manche Eltern und auch PädagogInnen reagieren hier mit: "Kennst du meine Kinder? Hier geht's den ganzen Tag rund - wie soll ich da Routinen einführen!?"

Ja, es mag anfänglich etwas Mühe und Anstrengung kosten, bestimmte Routinen auszuwählen und umzusetzen. Doch wenn sie mal eingeführt sind, erleichtern sie den Alltag ungemein.

Beispiele für den privaten Alltag:

  • Morgenroutine
  • Nach-der-Schule-Routine
  • Medien-Routine
  • Essensroutine
  • Abendroutine
  • Zimmer-Aufräum-Routine

Beispiele für den Kindergartenalltag:

  • Spielzeugtag (an welchem die eigenen Spiele von zu Hause mitgebracht werden dürfen)
  • Nudeltag, Reistag, Süßer Tag, etc... (für die olfaktorischen Herausforderungen)
  • Ausflugstag (Spannung bei neuen Aktivitäten und Situationen)

Beispiele für den Klassenalltag:

  • Sitz-Konferenz: alle 6-8 Wochen wird gemeinsam mit den Kindern die Sitzordnung verändert - alle Bedenken dürfen geäußert und mitbedacht werden
  • Klassenkonferenz: einmal pro Woche bietet sie allen Kindern die Möglichkeit in wertschätzendem Rahmen auszusprechen, was sie gut finden, was ihnen Probleme bereitet, wo sie Veränderung haben möchten.
  • Tagesablauf gemeinsam festlegen: das erwartet uns am heutigen Schultag.

Tipp 5: Humor und Spaß

Und das kommt erfahrungsgemäß bei all den Pflichten und Verpflichtungen und Regeln, die im pädagogischen Alltag ablaufen, oft zu kurz.

Immer wieder hört man: "Jetzt habe ich diesem Kind extra Kopfhörer gekauft, damit es im Klassenverband vom Lärm nicht zu überreizt wird und dann nutzt es ihn nicht."

Oder: "Wir haben nun extra ein Zimmertrampolin angeschafft, damit sie sich dort auspowern können (statt auf der Couch) und es bleibt ungenutzt."

Warum? Weil diese Möglichkeiten oft wie ein Makel präsentiert wird und Kinder meist nicht miteinbezogen werden.

"Hier ist das Tool - nutze es!" überspitzt ausgedrückt.

Oder: "Jetzt haben wir im Gruppenraum extra eine Ruhezone eingerichtet und sie wird nicht vom Kind genutzt!"

Viele gutgemeinte Hilfestellungen kommen oft wie eine Strafe rüber. Mehr Humor und Spaß hilft und es wäre natürlich gut, wenn die Hilfestellungen und Tools allen Kindern zugänglich gemacht werden und nicht EIN Kind negativ hervorhebt.

Ein Kind (oder doch mehrere?) ist schon sowas von überreizt und könnte von mehr Bewegung profitieren? Warum nicht kurzerhand einen spaßigen Parcours innerhalb der Klasse oder des Gruppenraums veranstalten?

10 Minuten Spaß und Bewegung für alle und "Kinder: "Psssst' - Kinder, schaffen wir den Parcours so leise, dass uns nicht mal die Nachbarklasse hört?"

Schon habe ich danach wieder ruhigere Kinder, die sich besser konzentrieren können.

Tipp 6: Reizregulation Umgebungs-übergreifend betrachten

Es hilft nicht viel, wenn ich zu Hause eine passende Umgebung und ausreichend Reizregulation hinkriege, aber in der Schulklasse niemand über die sensorischen Herausforderungen des Kindes Bescheid weiß...und umgekehrt!

Das Bewusstsein sollte in allen Umgebungen, also der ganzen 24 Stunden des Tages dieses Kindes greifbar sein.

Ein Beispiel: wenn du merkst, das Kind ist am motiviertesten und lernt am besten, wenn es im Team mit anderen Kindern lernt und die Eltern beklagen sich darüber, dass das Kind zu Hause die Hausaufgaben nicht machen will und es eine regelrechte Qual ist, dann HILFT ihnen diese Information!

Wenn sie wissen, dass das Kind vielleicht mit ihnen gemeinsam oder mit einem Freund oder vielleicht sogar mit einem Geschwisterkind gemeinsam die Hausaufgaben besser schaffen würde, dann benötigen sie diesen Tipp.

Genauso wichtig ist, wenn Eltern zu Hause bestimmte Strategien entwickelt haben, dann benötigen Lehrkraft oder ErzieherInnen diese wichtige Info, um sie ggfs. auch im Betreuungs- und Schulalltag zu integrieren. Vielleicht in abgewandelter Form, aber die Information ist sehr wichtig.

Wenn sich das Kind am Vormittag in der Betreuung so sehr zusammenreißt und dadurch unter totaler Spannung ist .... und erst im sicheren Hafen zu Hause diese Spannungen rauslässt, wäre es sehr wichtig, dass die Betreuer wissen, dass dies passiert. Erst dann kommen Pädagoginnen auf die Idee, am Vormittagsablauf (für dieses Kind) etwas ändern zu müssen. Aus ihrer Sicht passt ja alles.

Tipp 7: Mach es visuell sichtbar

Kinder leben im Moment. Nur weil wir gewisse Routinen und Regeln 'besprochen' haben und sie für alle klar erscheinen, heißt es nicht, dass sie automatisch eingehalten werden.

Viele von uns sind Bilderdenker, dh. visuell-räumliche Denker. Und viele Kinder brauchen es bildlich vor sich, um zu wissen, was sie für den jeweiligen Prozess zu tun haben.

8 Tipps Reizregulation mache es visuell

Im Onlinekurs Sensorische Herausforderungen gut meistern erhältst du viele druckbare Hilfen

Zeichne oder male die Aktivitäten oder Routinen auf. Mache sie visuell sichtbar.

Vielleicht ist eines der Kinder gut darin und möchte sich kreativ betätigen. Hängt oder legt das 'Visual' gut sichtbar auf.

Aber - natürlich bedeutet es nicht, dass nur weil wir was ausdrucken, malen und aufhängen, die Veränderung passieren wird, oder Kinder automatisch alles erledigen werden . Wird vermutlich nicht funktionieren.

Daher ist auch der letzte Tipp sehr wichtig.

Tipp 8: Mit dem Kind gemeinsam

Wenig davon klappt ohne Einbeziehung der Kinder. Der 'Top-Down-Approach' hat ausgedient.

In der Familie genauso wie im Betreuungsbereich und in der Schule. Stattdessen ist der 'Familien-Team' Ansatz oder der Ansatz 'auf Augenhöhe' so wichtig, damit es langfristig mit der Kooperation klappt.

Wir wollen ja, dass Kinder über ihre eigenen individuellen Bedürfnisse Bescheid wissen.

Wir wollen das Bewusstsein schärfen.

Wir möchten, dass Kinder die Signale ihres Körpers (der ja unentwegt Signale sendet) gut wahrnehmen und entsprechend darauf reagieren lernen. Wie viele Erwachsene ignorieren die Signale des eigenen Körpers und übergehen damit konstant die eigenen Grenzen? Zu viele.

Wenn wir mit dem Kind gemeinsam an Ideen, Lösungen und Möglichkeiten arbeiten, fühlt es sich eingebunden und bestärkt (statt kritisiert).

Wenn du also im beruflichen oder privaten Alltag mit Kindern jeden Tag Machtkämpfe hast, beim Anziehen, beim Essen, beim Mitmachen im Morgenkreis oder bei der Konzentration im Klassenalltag, dann bedenke diese 8 wichtigen Punkte:

  • Setze die sensorische Potenzialbrille auf
  • Bleibe gelassen
  • Biete Alternativen und Optionen an
  • Etabliere Routinen
  • Nimm's mit Humor und habt Spaß
  • Betrachte Reizregulation Umgebungs-übergreifend
  • Mach es visuell sichtbar
  • Seid ein Team mit dem Kind gemeinsam

Weiters haben die wenigsten Erwachsenen den Bereich der persistierenden frühkindlichen Reflexe im Hinterkopf, wenn es um sonderbares, kaum 'abschaltbares' Verhalten geht - lies hier mehr darüber.

Vertiefe gerne dein Wissen über Reizverarbeitung und manch sonderbarem Verhalten, das bei einigen Kindern beobachtbar ist und enttarne Mythen, die dein Verständnis für sensorische Herausforderungen blockieren.


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